Wissenschaft und Forschung an der Medizinischen Universität Wien, ein persönlicher Erfahrungsbericht

Die Aufgaben der Hochschullehrer umfassen Forschung Lehre, Betreuung der Studierenden sowie universitäre Verwaltungstätigkeit. Überdies haben Universitätslehrer, die an der Universität in ärztlicher (§§ 2 und 3 des Ärztegesetzes 1998, BGBl. I Nr. 169) oder zahnärztlicher Verwendung stehen, an der Erfüllung der Aufgaben mitzuwirken, die den Universitätseinrichtungen im Rahmen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Untersuchung und Behandlung von Menschen obliegen (§ 63 UOG 1993).
Anlässlich meiner auf 2 Jahre befristeten Ernennung zum Assistenzarzt an der Universität Wien ab dem 1.12.1985 erhielt ich daher auch ein Schreiben datiert mit 30.11.1984 meine Dienstpflichten betreffend. Die darin angeführte Aufteilung in prakt. Medizin, Lehre, Forschung und Administration wäre ganz in meinem Sinne gewesen, die Praxis sah jedoch vollkommen anders aus, denn zusätzlich zur 40 Stunden/ Woche Regeldienstzeit waren 15 Journaldienste/Monat (z.B. nicht selten: Montag-, Mittwoch-, Freitag-, Samstag-, Sonntag-Nachtdienst, was eine 32-Stunden Woche außerhalb des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien (AKH) ergibt) regelmäßig eingefordert worden. Begründet hat dies der Dienstgeber (seinerzeit noch die Universität Wien) mit dem BDG 1979 §50. (Liebe(r) LeserIn, sie werden vielleicht fragen, warum ich nicht sofort gekündigt habe? Die Antwort ist sehr einfach: Es gab eine Ärzteschwemme und ich habe die Anästhesie-Ausbildungsstelle vermutlich auch nur erhalten, weil in der Wiener Zeitung gleichzeitig 15 Anästhesie-Ausbildungs-Stellen ausgeschrieben waren.) Mit anderen Worten, Papier ist zwar geduldig aber 200% praktische Medizin, d.h. Patientenversorgung war angesagt und Lehre bzw. Forschung nicht einmal eine Gesprächsthema. Selbst eine vom Dienstgeber für mich vorgeschriebene Kontrolle meines Gesundheitszustandes (Strahlenschutzuntersuchung) war mir aus zeitlichen Gründen nicht möglich, weshalb ich am 19.10.1988 sogar eine diesbezügliche Strafverfügung erhielt. In der zugehörigen Straferkenntnis MBA/18/20/028/8/Str. vom 10.2.1989 wurden zwar meine Argumente: "Wochenarbeitszeit von 40 Stunden, zuzüglich mindestens 15 Nachtdienste pro Monat und daher wegen Arbeitsüberlastung eine Strahlenschutzuntersuchung nicht möglich" festgehalten, ich musste aber dennoch 330 Schillinge bezahlen, da (so die Straferkenntnis) es der Erfahrung des täglichen Lebens entspricht, dass eine vom Dienstgeber geforderte ärztliche Untersuchung durchaus während der Dienstzeit vorgenommen werden kann. Man gab mir im AKH seinerzeit den offenbar gut gemeinten (inoffiziellen) Rat, mich doch von der Strahlenschutzuntersuchung befreien zu lassen, um einer weiteren Strafe zu entgehen, was ich auch gemacht habe. Ich habe allerdings 5 Wochen danach erneut im strahlenexponierten Bereich gearbeitet. (Etwa 20 Jahre später wurde ich wieder zu einer Untersuchung eingeladen). Liebe(r) LeserIn, sie werden vielleicht meinen, die Mittagspause hätte notfalls von mir doch auch zur Strahlenschutzuntersuchung benützt werden können: Meine Antwort dazu: Im OP hat es keine Mittagspause gegeben - erst ab 25.4.2002 gab es eine diesbezügliche Regelung: "Aus der Sicht der Direktion scheint es am idealsten, wenn sich im Operationsbereich (OP) diensthabende Ärzte selbst mit (kalten) Mahlzeiten versorgen, die sie in den Aufenthaltsräumen des OP einnehmen können, wenn eine Essenseinnahme außerhalb dieses Bereiches aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist." (AKH/ADR/P/235/2002). (Eine Anordnung von Mehrdienstleistung, quasi ohne Limit, so wurde mir gesagt, war durch das BDG gedeckt, denn der Beamte hatte auf Anordnung über die im Dienstplan vorgeschriebenen Dienststunden hinaus Dienst zu versehen. Im Jahr 2003 wurde von der Europäischen Union eine Arbeitszeitrichtlinie erlassen, welche die durchschnittliche Arbeitszeit einschließlich Überstunden auf 48 Stunden pro Woche begrenzt hat, allerdings an der Medizinischen Universität Wien (MUW) waren selbst Mitte 2007 bisweilen (Dauer)Dienstzeiten bis zu 107 Stunden pro Woche angesagt.)
Es ist und war also kein Geheimnis, dass Ärzte an den Medizinischen Universitäten überwiegend zur Patientenversorgung eingesetzt werden, weshalb für universitäre Kernaufgaben wie Forschung oftmals nahezu keine Zeit bleibt. Genau genommen ist es noch wesentlich extremer, denn der einzelne Universitätsprofessor hat (wie aus einem Schreiben vom 10. Dez. 2004 des bm:wk hervorgeht) kein Recht auf prozentuale Forschungszeit an der Regelarbeitszeit (GZ 52.250/117-VII/672004). Folglich bleibt i.d.R. nur noch die Freizeit für Forschung übrig, was auch etwa der Publikation: The units of measurement of the ventricular stroke work: a review study entnommen werden kann:

study was mainly performed during leisure time

Um meine (speziell nicht-klinischen) Forschungsvorhaben zu verwirklichen habe ich daher im 25. Dienstjahr an der (MUW), genauer am 13. Sept. 2009 einen Antrag um Reduktion meines Grundgehaltes über 5 Jahre auf 80% und ab Oktober 2013 eine Freistellung im Ausmaß von 3 mal 4 Monaten (Sabbatical) gestellt, welcher bedauerlicherweise von der Leitung der klinischen Abteilung abgelehnt wurde. Um dennoch (nicht-klinisch) wissenschaftlich arbeiten zu können, habe ich daher ein Jahr später am 1. Okt. 2010 erneut einen Antrag um eine 5-jährige Reduktion meines Grundgehaltes auf 80% mit einer Freistellung im Ausmaß von 3 mal 4 Monaten (Sabbatical), diesmal mit dem Vermerk: "Es mag vielleicht paradox klingen, aber es ist mir während des klinischen Betriebes an der Medizinischen Universität Wien leider nicht möglich meine Forschungsvorhaben zu verwirklichen, weshalb ich seit Jahren regelmäßig meine Urlaubszeit blockweise so zu konsumieren versucht habe um während dieser Zeit (nämlich der Regelarbeitszeit an den Universitäten) mit Kollegen anderer Universitäten zusammenzuarbeiten." gestellt habe, was diesmal von der Klinik- bzw. Abteilungsleitung ignoriert wurde, was ich nach einer Emailanfrage an die Abteilung Personal und Personalentwicklung der MUW im Februar 2011 erfahren durfte. Nach einem personellen Wechsel der Abteilungsleitung habe ich schließlich im Februar 2012 von Herrn Prof. Markstaller eine mündliche Antwort erhalten: „Der Rektor gewährt derzeit niemandem ein Sabbatical und wenn jemand versucht dagegen rechtlich vorzugehen, dann würde dies der Abteilung negativ angeschrieben werden, d.h. es würden Stellen gestrichen werden.“ (Diese Stellungnahme, quasi eine Nötigung des Abteilungsleiters Herrn Prof. Markstaller auch Forschung während eines Sabbaticals zu unterbinden, ist umso bemerkenswerter, als ein Sabbatical die Universität nichts kostet.)

Hinsichtlich Lehre an der MUW hat sich allerdings in den letzten 10 Jahren vieles zum besseren verändert, denn Lehre ist (jedenfalls für mich) problemlos möglich geworden, schließlich konnte man sich an der MUW durch klinische Arbeit im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Wien (AKH Wien) ein Kontingent an Lehr- und Forschungszeit 'erkaufen' (s. weiter unten). Wenn dieses Zeit-Kontingent durch Lehre verbraucht wurde, dann war allerdings Forschung i.A. nicht mehr bzw. nur noch sehr eingeschränkt möglich. Betreffend meine Forschungsvorhaben habe ich daher im Rahmen eines Mitarbeitergesprächs im Juli 2016 meinen Wunsch schriftlich festgehalten, neben meiner Lehre wie bisher, 1/2 bis 1 Tag pro Woche für Forschung von der klinischen Routinearbeit freigestellt zu werden. Bedauerlicherweise wurde von der Leitung des Personalmanagements dieser Forschungswunsch nahezu negiert, wie dies auch aus dem Elektronischem Dienstplanmanager ( = Arbeitszeiterfassungssoftware der MUW) hervorgeht: Beispielsweise im ersten Halbjahr 2017 war ich durchschnittlich 47 Stunden pro Woche in der Routine-Patientenversorgung im AKH Wien (die tägliche Zuteilung zwischen 07:30 und 15:30 erfolgt durch das Klinikmanagement per Email am Vortag) eingesetzt und darüber hinaus etwa 10 Stunden / Woche nahezu ausschließlich in der Lehre (incl. Vorbereitung dazu) tätig, was (mit 1 Stunde nichtklinischer Tätigkeit, wie etwa Administration, innnerklinische Fortbildung) eine durchschnittliche Gesamtwochenarbeitszeit von etwa 58 Stunden / Woche ergibt.
Um wenigstens ab der 48. Wochenstunde wissenschaftlich tätig sein zu dürfen, blieb i.d.R. nichts anderes übrig, als ein Opt-out zu unterschreiben, da Uniärzte auch künftig länger arbeiten 'dürfen'. Diese 'Kauflösung', d.h. jene Arbeitszeit, die über 48 Stunden hinausgeht, muss für Forschung und Lehre aufgewendet werden, wurde sogar in ein Bundesgesetz erhoben. Um dennoch wissenschaftlich tätig sein zu können, habe ich folglich bereits in den Jahren zuvor etwa 250 Tage Urlaubs und Freizeitausgleich angesammelt, was etwa einem Jahr entspricht, womit mein geplantes Forschungs-Sabbatical hinfällig wurde. Im Sinne der Planbarkeit wurde ich lediglich ersucht einen längeren Urlaub der Leitung des Personalmanagements entsprechend frühzeitig bekanntzugeben. Warum allerdings der 2017 von Herrn Prof. Markstaller eingesetzte Leiter des Personalmanagements Prof. PD Baron, EDIC schriftlich vereinbarte Forschungswünsche nahezu negiert hat, bleibt leider offen.
Der Rektor hat im November 2017 die Opt-out Regelung bedauerlicherweise dahingehend erweitert, indem eine eine generelle fixe Forschung / Lehr - Zeit im Elektronischem Dienstplanmanager verteilt auf die einzelnen Arbeitstage in der Normalarbeitszeit eingetragen wird. Vom Klinikmanagement wurde folglich die Supervisions-Zeit (= Überwachung von jungen Ausbildungs-AssistentInnen z.B. im Operationssaal) als Forschung und Lehrzeit deklariert. Ein mit dem von Herrn Prof. Markstaller nominierten Leiter des Personalmanagements Prof. Baron geführtes Gespräch, welches von Prof. Baron im Nachhinein als Mitarbeitergespräch deklariert wurde, hat leider zu keiner Einigung geführt, denn mein Wunsch 1/2 bis 1 Tag pro Woche von der klinischen Tätigkeit für Forschung freigstellt zu werden hätte nur berücksichtigt werden können, wenn meine klinische Arbeitszeit trotz Vorlesung und etwaiger CTF-Tage noch über 48 Stunden betragen würde.
Liebe(r) LeserIn, Sie werden unter Umständen mutmaßen, ältere Dienstnehmer will man vielleicht zur Senkung des überbordenden Personalbudgets sanft in den Ruhestand bitten, weil diese zu teuer für die Medizinische Universität Wien wurden, aber das trifft sicherlich nicht zu, denn etwa am Samstag oder Sonntag verdient ein(e) habilitierte(r) UniversitätsprofessorIn auch in meinem Alter von mittlerweile 66.8 Jahren an der MUW im Journaldienst (sei es um 2:00 Uhr in der Früh oder um 10:00 am Vormittag) pro Stunde brutto genau dasselbe (netto sogar etwas weniger), wie ein(e) AnfängerIn mit wenigen Wochen Erfahrung. Liebe(r) LeserIn, wenn Sie jetzt mutmaßen, der Rektor wollte deshalb Arbeitskräfte für Sabbaticals nicht freistellen, dann muss ich Sie schon wieder enttäuschen, denn das BDG nennt für eine Ablehnung eines Sabbaticals lediglich 1.) Wichtige dienstliche Gründe, oder 2.) Der Beamte steht seit weniger als 5 Jahren im Bundesdienst. Es müssen demnach wichtige dienstliche Gründe gewesen sein. Ich habe den Grund beim Rektorat im Jahr 2012 erfragt, bedauerlicherweise aber bislang keine Antwort erhalten.
Wenn Sie also im 62. Lebensjahr, 22 Jahre nach Ihrer Habilitation im 33. Dienstjahr an der MUW weiterhin wissenschaftlich tätig sein wollen, dann bleibt Ihnen vermutlich nichts anderes übrig als mit 48 Wochenstunden klinischer Patientenversorgung im AKH Wien 12 Stunden Lehr- und Forschungszeit 'käuflich' zu erwerben. Wenn Sie zusätzlich nicht-klinisch forschen wollen, dann empfehle ich Ihnen rechtzeitig Urlaubstage zu sammeln.


P.S.:Liebe(r) LeserIn, Sie werden sich vielleicht auch die Frage stellen, ob es nicht statt eines Sabbaticals noch andere Möglichkeiten gibt an einer Universität für Wissenschaft und Forschung (außer für Vorträge / Präsentationen) mit einem Soialversicherungsschutz freigstellt zu werden werden. Dies trifft auch tatsächlich zu, und zwar (Stand Feb 2015) 5 Tage pro Jahr für Kongressbesuche oder den Tag der Universität an der MUW. Um die MUW nicht in ein falsches Licht zu rücken, habe ich mir folglich erlaubt in den nichtklinischen Publikationen meine Heimatadresse in der Affilation anzuführen.
Letztlich werden Sie sich vielleicht auch fragen, wieso "mischt" sich auch der Inhaber dieser Seite in fremde Forschungsdisziplinen ein? Dazu meine kurze Antwort: Die Alterung medizinischen Wissens erfolgt gegenwärtig mit einer Halbwertszeit von etwa 5 Jahren. Mathematische Grundlagen-Publikationen sind hingegen für die Ewigkeit geschrieben.

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